Nirgendwo habe ich einen Hinweis gefunden, Rainer Maria Rilke sei ein Freimaurer gewesen, also zu jener Organisation gehörig, die seit Jahrhunderten eher im Stillen wirkt und das auch will und so berühmte Mitglieder wie Mozart, Lessing, Goethe, Churchill, Louis Armstrong, Theodor Roosevelt, Karlheinz Böhm, Salvator Allende, Gustav Stresemann, Montesquieu um nur einige zu nennen aufzuweisen hat. Der Begriff der Freimaurer ist wohl erstmalig 1278 belegt; sie gehen zurück auf Steinmetzbruderschaften, also Handwerker, die sich bewusst waren, mit ihrem Tun zugleich ein höheres, spirituelles Werk zu leisten, leisten zu können, zu wollen. Als Freimaurer bezeichnen sich also Menschen, die ganz bewusst die Entwicklung des inneren Menschen in den Mittelpunkt ihres Seins stellen, früher durch ihrer Hände Arbeit, heute durch ihr generelles Wirken in dieser Welt, auch eben durch ihre Arbeit. Noch immer sind ihre Logen aktiv und aktuell bekennen sich die deutschen Freimaurer übrigens auch auf ihrer Web-Site zu Wir sind Charlie.
Ob sie heute noch ihrem Anspruch genügen, offen für alle Schichten des Volkes zu sein, möchte ich dahingestellt sein lassen, genauso die Frage, ob ihre Organisationsform noch unserer Wirklichkeit angemessen ist. Und nach wie vor finde ich den Umgang der Freimaurer mit Frauen nicht wirklich geklärt, wobei es bekanntlich Frauenlogen gibt. Warum aber Frauen und Männer ihre Rituale und Treffen getrennt durchführen, ist für mich trotz offizieller Begründungen durch Freimaurerinnen und Freimaurer nicht stimmig. Ich persönlich finde es durchaus sinnvoll, dass Männer und Frauen Dinge auch getrennt tun; wenn es aber um die hohen Ziele der Freimaurerschaft geht, bedarf es einer Energie, die dezidiert Männliches und Weibliches verbindet. Gott, wenn er denn Logensitzungen besucht, kommt auch nicht nur als Vater-Gott zu den Freimaurern und als Mutter-Gott zu den Freimaurerinnen. Yin und Yang lassen sich nicht spalten.
Grundsätzlich finde ich einen der Ur-Gedanken des Freimaurerseins sehr wertvoll: dass Arbeit auch ethische Verpflichtung beinhaltet.
Was mich insgesamt etwas verwundert hat, war, als ich mich anlässlich meiner Gedanken zu Rilkes Gedicht Werkleute sind wir über die Freimaurer aktuell noch einmal informieren wollte, dass ich nirgendwo klar auch nicht bei ihren Mitgliedern gesagt fand, um was es der ursprünglichen Freimaurerei meines Erachtens eigentlich geht: den Tempel Gottes zu bauen.
Der nun ist nichts anderes als die menschliche Seele!
Mag sein, dass ich diesen Tatbestand in ihren Veröffentlichungen im Internet Bücher zu ihnen gibt es ebenfalls einige überlesen habe; vielleicht führen die Freimaurer ihre geistige Kultur auch viel eher auf das Hand-in-Hand-Gehen von wertebewusstem Arbeiten und seelischer Entwicklung zurück, wie sie sich ursprünglich in den Steinmetzhütten und den Steinmetzbruderschaften fand, als wie ich das tue auf den Bau des Salomonischen Tempels, des Tempels unserer Seele also und die immer wieder notwendige Tempelreinigung, wie sie Jesus anschaulich und energisch durchführte. Zu viel Unrat hat sich da im Laufe unserer Leben angesammelt und wie sehr dort Wechsler Einzug gehalten haben, die Jesus vertrieb, sieht man an der Dominanz alles Wirtschaftlichen, der rasanten Zunahme der Börsengeschäfte und vor allem, wie sehr es jenen gelungen ist, weltweite Aufmerksamkeit zu erhalten und dass heute schlimmstenfalls ein falscher Wimpernschlag genügt, um mittels Auswirkungen an den Börsen die Wirtschaft weltweit lahmzulegen.
Das ist ja die Bedeutung dieses biblischen Geschehens: den Tempel gilt es zu reinigen, damit geschehen kann, was in der Folge Jesus vorlebt bis zu dem Ziel, unser Ego zum Kreuze zu tragen, zu kreuzigen, damit das wahre Bewusstsein auferstehen kann.
Für mich ist das jedenfalls so, dass wahres Freimaurersein den Bau des Salomonischen Tempels, den Bau unseres inneren Tempels zum Ziel hat. Das hängt zusammen mit meinem Verständnis von Seele und Geist. Dazu später mehr.
Offensichtlich jedenfalls ist, dass Rilkes Gedicht Werkleute sind wir diesen Geist wahren Freimaurerseins atmet, der uns inspirieren kann, uns bewusst zu werden, welcher Bedeutung unser Leben zukommt. Dass Rilke selbst wohl kein Freimaurer war, bestätigt mir meine Ansicht, dass, Freimaurer zu sein, eine Existenzweise ist, die es im Grunde seit Beginn des bewussten menschlichen Daseins gibt, eines Daseins, das sich mit der Entwicklung der menschlichen Seelen immer mehr offenbaren konnte. Ähnlich verhält es sich mit dem Rosenkreuzertum, auf das ich später einmal im Zusammenhang mit Goethes Die Geheimnisse und sein Rosenkreuzer-Dasein genauer, als ich das an anderer Stelle tat, eingehen möchte.
Viele fragen sich, worin denn nun wirklich der Unterschied zwischen der Seele und dem Geist besteht, wenn man jetzt nicht unbedingt nur jene Seele vor Augen hat, die voll ist von Gestalten, die Hieronymus Bosch z.B. anlässlich der Versuchung des Heiligen Antonius so unnachahmlich gemalt hat und Schiller in seinem Taucher meint, wenn er den Knappen sagen lässt:
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Da drunten aber ist´s fürcherlich.
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Schillers Ballade ist ja ein Psychogramm menschlichen Seins. Ich bin darauf an anderer Stelle näher eingegangen.
In der Tat glaube ich, dass des Menschen Seele bis in unendliche Tiefen voll sein kann mit Dingen, die niemand wirklich sehen mag. Noch bis vor kurzem hätte doch niemand geglaubt, dass Menschen so öffentlich und auf solch abartige Weise begeistert Grausamkeiten begehen wie die Angehörigen des Islamischen Staates oder aktuell von Boko Haram in Nigeria. Da mag jedem bewusst sein, dass das so ist, wie es Schiller und Hieronymus Bosch aufzeigen und gut ist, dass wir nicht sehen müssen, was im Auftrag der Inquisition und anderer Organisationen zu früheren Zeiten geschehen ist, auch dass wir nicht das Leid aller durch die Kirche geschändeten Kinder sehen müssen. Da versteht man, dass in der Bibel von Heulen und Zähneklappern die Rede ist, wenn Seelen vor allem nach ihrem Leben mitbekommen, was sie wirklich angerichtet haben. Gewiss warten keine seligen Jungfrauen.
Umso wichtiger ist es auf diesem Hintergrund, dass wir uns mit Inhalten beschäftigen, die, wie Rilke schreibt, unser hohes Mittelschiff bauen, unsere Seele, die ja immer die Balance wahren muss zwischen Anteilnahme und Hilfe für Schwestern und Brüder, denen es unvorstellbar schlecht geht, auf der anderen Seite aber immer auch sich selbst Nahrung geben muss.
Dieses Nahrung-Geben geschieht auch durch Worte, die wie Himmelsspiegel sind; zu ihnen gehören für mich jedenfalls ganz oft die von Rainer Maria Rilke. Und ganz besonders trifft dies auf das folgende Gedicht aus dem Stundenbuch zu:
Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister,
und bauen dich, du hohes Mittelschiff.
Und manchmal kommt ein ernster Hergereister,
geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister
und zeigt uns zitternd einen neuen Griff.
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Wir steigen in die wiegenden Gerüste,
in unsern Händen hängt der Hammer schwer,
bis eine Stunde uns die Stirnen küßte,
die strahlend und als ob sie alles wüßte
von dir kommt, wie der Wind vom Meer.
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Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmern
und durch die Berge geht es Stoß um Stoß.
Erst wenn es dunkelt, lassen wir dich los:
Und deine kommenden Konturen dämmern.
.
Gott, du bist groß.
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Mit einmaligem Lesen kann man den Gehalt dieses Gedichtes nicht erfassen wenn ich hier von mir auf andere schließen darf. Ich habe es gut und gern mittlerweile ein Dutzendmal gelesen und erst dadurch schließt es sich mir immer mehr auf.
Das beginnt bei dem Verhältnis von Form und Inhalt, ein Verhältnis, das ja gerade bei Gedichten eine wesentliche Rolle spielt.
Wie bei dem Verhältnis von Seele und Geist.
Du, lieber Leser, kennst diese Kreisabbildung, die einen Punkt in der Mitte des Kreises zeigt.
Nun, die Außenlinie des Kreises, das ist jene Fassung, deren unsere Seele bedarf. Symbolisch gesehen bauen wir als Werkleute diese unsere Seele, diesen unseren Kreis, dessen zentraler Punkt der Geist Gottes ist. Er ist der Mittelpunkt einer jeden Seele und gibt ihr Inhalt; und selbst wenn Menschen mit Teufelsgewalt sich bemühen, diese Tatsache zuzudecken: Diesen göttlichen Funken, wie ihn Philosophen auch gern nennen, lässt sich nicht auslöschen. Wenn dies denn geschieht, verlöscht die Seele. Ich hoffe, dass das nicht möglich ist.
Keine Seele gleicht der anderen, nur ist in meiner Vorstellung dieser göttliche Funken in allen gleich.
Dieser Funke, dieses Licht bricht sich in den menschlichen Wassern der Seele immer ganz unterschiedlich. Letztendlich gleichen sich nur die Seelen, die seit Urzeiten wie Adam und Eva zusammengehören. Das aber ist ein anderes Thema, das übrigens in der Literatur, auch in Gedichten ich denke z.B. an Schillers Reminiszenz immer wieder auch angesprochen wird.
Deshalb also ist die Form so wichtig. Im Grunde bauen wir mit unserem Wirken unsere Seele, damit sie Gott immer vollständiger aufnehmen kann. Deshalb gewann das Freimaurertum und die Alchemie recht viele Anhänger. Es geht nicht nur um Rückzug, um Meditation, um Gottesdienstbesuche. Entscheidend wird unser innerer Tempel, die Seele, durch unser Werk, unser tagtägliches Wirken gebaut, ganz wesentlich in unserer Arbeit, sei es, dass eine Mutter ihre Kinder in diesem Bewusstsein erzieht, ein Verkäufer oder Vertreter in diesem Bewusstsein verkauft oder Menschen berät oder Menschen etwas schaffen, was dem Wohl der Menschheit dient.
An unserer Seele, an ihrer Form also arbeiten wir.
Rainer Maria Rilke ist ein Meister der Form.
Das zeigt sich auch in Werkleute sind wir.
Schon gleich zu Beginn:
Rilkes Zeilen sind im Jambus verfasst, also mit einem Metrum, im Rahmen dessen auf eine unbetonte Silbe eine betonte folgt.
Es gibt vor allem eine Ausnahme, die Dichter immer wieder unbewusst bewusst einsetzen, eine Ausnahme, die man Tonversetzung nennt. Und mit einer solchen beginnt gleich dieses Gedicht. Nicht leúte wird betont, nicht Werkleúte, sondern Wérkleute. Es folgen dann zwei unbetonte Silben, damit der Jambus wieder regulär fortfahren kann: Wérkleute sínd wir, Knáppen, Juénger, Meíster.
Hier wirkt diese Tonversetzung wie ein Ausrufezeichen. Damit beginnt dieses Gedicht, mit einer Betonung des Werkes!
Wir sind Wérkleute.
Rilke spricht von uns! Er bezieht alle ein: Wir!
Wir alle arbeiten an dem opus magnum, dem großen Werk, um dass es dem Menschen in Wahrheit gehen sollte: dem Bau seiner wahren Seele. So sahen ja meines Erachtens eben auch in früheren Jahrhunderten die Freimaurer ihr Wirken, gerade wenn sie einen gotischen Dom bauen durften. So auch sollten wir unser Wirken sehen.
Dieses Gedicht ist deshalb so wichtig, so brisant, weil es einen bezeichnenden, einen mahnenden Blick auf unsere Arbeit wirft!
Insofern wir das zulassen.
Rilke lässt keinen Zweifel, was er unter Arbeit, unter Werk, unter unserem Wirken versteht. Wir bauen an einem Dom, an dem großen Dom der Menschheit und zugleich an dem unserer Seele.
In einer Klimax, in einer sich steigernden Reihung spricht er sodann von Knappen, Jüngern, Meistern.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich die Freimaurerei grundsätzlich in drei Grade gliedert, den Lehrling, den Gesellen den Meister.
Rilke wird beim Schreiben nicht daran gedacht haben, wenn er es überhaupt wusste, aber die Stufenfolge der Freimaurer korrespondiert mit seiner Klimax. sicher kein Zufall, denn das sind zugleich wir in einem: Wir sind in unserem Leben, in unserer Entwicklung Knappen bzw. Lehrlinge, Jünger bzw. Gesellen, und wir sind auch irgendwann Meister, vielleicht nur später, als wir das denken. Vergessen wir nicht Rilkes Einschätzung seiner selbst:
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Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
.
Bemerkenswert also der Auftakt von Werkleute sind wir, und es geht des Merkens wert so weiter:
Der Autor spricht das Mittelschiff, als ob es lebe, an, er personifiziert es. In der Tat: Eine Kirche, auch wenn sie gebaut wird, lebt. Was verwendet wird, atmet den Geist der Erbauer. Das ist ja der große Sinn der biblischen Schöpfungsgeschichte, wenn Gott dem Menschen seinen Atem einhaucht. Ohne diesen lebt nichts. Deshalb stehen wir so fasziniert vor der Pietà Michelangelos und dem Abendmahl Leonardo da Vincis: Sie atmen den Geist der großen Seelen, die diese Werke geschaffen haben; all das erklärt, warum manches uns so fasziniert, manches andere, von dem wir begeistert, begeistet sein sollten, gar nicht, weil wir den Geist nicht spüren, womöglich, weil er gar nicht da ist oder nur dahindümpelt oder wir ihn nicht erkennen.
Für das Mittelschiff des Doms, der Kathedrale unserer Seele, das pars pro toto für die Gesamtheit des Baus steht, gilt das nicht!
In der Folge thematisiert Rilke etwas, was für die Entwicklung der Menschheit gilt: Immer wieder, ich glaube, in regelmäßigen Abfolgen, kommen Menschen auf die Erde, deren Seelen hoch entwickelt sind, ja, Menschen, die vielleicht gar nicht mehr inkarnieren müssten und das nur tun, um uns Erdenbürgern zu helfen, unser Bewusstsein zu entwickeln. Gewiss trifft das auf Jesus zu, möglicherweise auf den Dalai Lama oder Menschen wie Krishnamurti und andere. Mancher mag gar nicht hervortreten, sondern nur im Stillen wirken.
Deren Glanz muss man nicht sehen. Manche haben einen solchen Glanz gesehen und nicht ertragen, so die Pharisäer im Hinblick auf Jesus. Zum Verlöschen kann man diesen Glanz allerdings nicht bringen.
Eine ganz besondere Bedeutung hat das Zittern des Hergereisten, von dem die Rede ist. Es erinnert mich an das Beben der beiden Liebenden in Hofmannsthals Die Beiden. Es ist ein Zeichen höchster Ergriffenheit. Der neue Griff, den der Hergereiste mit dieser Er-griff-enheit zeigt, ist ungeheuer wertvoll. Er bedeutet, dass das Werk handwerklich kunstvoller gestaltet werden wird.
Immer ist zu Beginn der Strophen von den Werkleuten und ihrer Tätigkeit die Rede; immer tritt im weiteren Verlauf der Strophen eine Veränderung ein, die über die Werkleute hinausweist und so von ihnen nicht gewollt ist, diese Veränderung unterliegt nicht ihrem Willen: etwas geschieht; der Wind weht, wo er will.
So auch in der zweiten Strophe, die insofern bemerkenswert beginnt, als auch hier, wie ebenfalls an anderen Stellen des Gedichtes, Alliterationen auftreten, die ja immer, wenn sie sich einfinden, den Gang des Geschehens vertiefen, weil sie die Worte unseren Seelen nachdrücklicher einprägen, ein Umstand, den sich übrigens auch die Werbeindustrie längst zunutze gemacht hat. Beispiele möchte ich hier nicht nennen.
Auffallend ist die W-Alliteration im ersten Vers der zweiten Strophe, vor allem aber die H-Alliteration im zweiten Vers, die ja ganz besonderes Gewicht dadurch erhält, dass der zweite Buchstabe a/ä auch noch korrespondiert und die Wirkung verstärkt. In der Tat spüren wir, wie schwer diese Arbeit eigentlich ist, und dieser Hinweis geschieht nicht von ungefähr: Die Arbeit, die wir leisten, ist oft schwer; es wäre falsch, sich diesbezüglich einer Illusion hinzugeben. Aber auch hier geschieht etwas, was die Arbeit und das Sein der Werkleute auf grundsätzliche Weise verändert. Als Leser wissen wir, dass diese Stunde, auch wenn ihr Wissen im Konjunktiv angesprochen wird, alles weiß. Auch diese Stunde lebt, auch sie ist personifiziert.
Zeit lebt, wenn es göttliche Zeit ist und alles das erinnert an Michael Endes Worte in Momo:
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So wie ihr Augen habt, um das Licht zu sehen, und Ohren, um Klänge zu hören, so habt ihr ein Herz, um damit die Zeit wahrzunehmen.
Und alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist verloren
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Die Zeit der Werkleute ist nicht verloren. Insbesondere durch die Stunde, die niemand kennt. Der Wind weht eben, wo er will, wie es schon in der Bibel heißt. Aber er weht, und das lyrische Ich weiß um ihn und spürt ihn wohl immer, wenn er da ist.
Menschen, die selbst viel Wind machen, spüren ihn gewiss nicht.
Die dritte und letzte Strophe ist groß, einer Kathedrale gleich.
Manchen mag irritieren, dass Rilke auf einmal von Bergen spricht. Manchen mag es aber auch nicht irritiert haben, ja, es mag ihm gar nicht aufgefallen sein, weil er im Inneren assoziierte und darum wusste, was Rilke assoziiert haben mag:
In den Bildern der Mythologie, in den Bildern unserer Seele also finden sich im Bergesinneren unsere wahren Schätze. Wir kennen das Märchen Simeliberg der Brüder Grimm oder Ali Baba und die 40 Räuber. In beiden Märchen finden sich im Bergesinneren wahre Schätze. Beide Märchen allerdings weisen uns darauf hin, dass, wer sich unberechtigt Zugang verschafft, scheitern muss. Dieser Zugang fällt nur bestimmten Menschen zu, solchen also, die der Zu-Fall ausgewählt hat.
Wir wissen auch, wo Heinrich in Novalis´ Heinrich von Ofterdingen die Blaue Blume findet: im Bergesinneren. Nur dort ist sie geschützt und nicht jedem zugänglich. Sie symbolisiert unser höchstes Selbst, das Ziel unseres Seins. Novalis wusste darum, wie insgesamt in der Deutschen Romantik Menschen versammelt waren, die auf dem Weg zu ihr unterwegs waren, weshalb nun einmal damals die Sehnsucht eine so bedeutende Rolle spielte, der Klang des Posthorns als Zeichen des Unterwegsseins, Märchen gesammelt wurden oder auch Volkslieder in Des Knaben Wunderhorn. Die Weisheit der großen Grimm-Märchen, die Weisheit deutscher Volkslieder ist einmalig
Eine ganz große Epoche deutschen Geistes, die Romantik, für die wir sehr dankbar sein dürfen.
Übrigens: So wie die Tageszeit des Expressionismus der Abend war, so die Nacht für die Romantiker. Ihr Interesse galt der Rückseite des Tages. Vor der Nacht hatten sie keine Angst, weil sie dem Unbewussten so offen gegenüberstanden. Im Grunde leisteten sie eine erste Offenheit dem Unbewussten gegenüber, auf der Freud und Jung aufbauen konnten. Heinrich findet zunächst die blaue Blume in seinem Träumen. Und nur, wer nicht infiziert ist, glauben zu müssen, dass Träume Schäume sind, kann sich dem Unbewussten nähern, wie es eben dann Freud und Jung taten, indem sie sich Träumen als Zugang zu unserem Unbewussten zu bedienen lernten. Die Nacht symbolisiert den Raum, in dem sich dieses Unbewusste zeigt.
Warum ich das schreibe: Das Wissen um Obiges ist Voraussetzung, die dritte Strophe verstehen zu können.
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Erst wenn es dunkelt, lassen wir dich los.
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Am Tag regiert gern unser Verstand, das, was wir manchmal sehr beschönigend das Licht des Bewusstseins nennen und damit im Grunde unsere ratio meinen. Kein Wunder spiegelt sich in jener Epoche, in der unsere ratio, unser Verstand eine so dominierende Rolle spielt, in der Aufklärung also, Wörter für Licht eine so dominierende Rolle, europaweit:
Für aufklaren und somit für Aufklärung ist das deutlich; es gilt auch für die italienische Bezeichnung Illuminismo, für Frankreich mit siècle philosophice bzw. eben siècle des lumières oder auch siècles éclairé, für das russische provescenie oder das englische enlightenment.
Dieses Licht bezieht sich immer auf die Kraft menschlicher Vernunft, die im Zuge der sich entwickelnden Naturwissenschaften, im Zeichen Bacons und Newtons, das Licht unseres Verstandes in den Mittelpunkt rückt. Es korrespondiert, regiert es allein dem Licht jenes Lichtträgers, den wir auch unter seinem lateinischen Namen Luzifer (lux = Licht, ferre = tragen) kennen, Satan also, einstmals Satanael, als er noch mit den Erzengeln Michael und Gabriel an der Seite Gottes (-el) weilte.
Stolz und demütig zugleich können wir als Menschheit darauf zurückblicken, was sich uns durch die Naturwissenschaften offenbarte, was längst schon da war, was wir oft gleichsam als unser intellektuelles Eigentum betrachten, weil wir es entdeckten, als ob wie es damit zugleich erfunden, erschaffen, geschöpft hätten.
In diesem Bewusstsein arbeiten und hämmern wir oft auch.
Umso wichtiger ist die letzte Strophe.
Selten nun findet sich in zwei Zeilen so viel Inhalt:
Erst wenn es dunkelt, lassen wir dich los:
Und deine kommenden Konturen dämmern.
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Nur auf den ersten Blick enthalten sie einen Widerspruch. Wie denn könnten wir etwas besser sehen, wenn es doch dunkler wird?
Am Tag, mit unserem Tagesbewusstsein, haben wir ein ganz bestimmtes Bild von dem, der den Glanz brachte, von Gott.
Aber nicht von ungefähr will das zweite Gebot des Alten Testaments, dass wir uns kein Bildnis von Gott machen.
In dem Moment, wo wir das tun, schnitzen wir in Holz oder meißeln in Stein oder prägen wie auch immer unserer Seele ein festes Bild ein, ein Bild, das sich nur schwer verändern, erweitern kann. Max Frisch hat in seiner Tagebuchsequenz so wunderbar ausgeführt, dass ein Bildnis von jemandem zu haben, das Ende der Liebe bedeutet: Man macht sich ein Bild. Das ist das Lieblose, der Verrat.
Die Liebe aber lässt dem Anderen immer die Möglichkeit der Veränderung, der Erweiterung.
Vor diesem Hintergrund haben wir auch das Bilderverbot des Islam zu respektieren und warum Muslime und Muslimas keine, auch keine karikaturistische Zeichnung ihres Propheten wollen. Klar ist Mohammed kein Gott, für Muslime ist er allerdings gottgleich; deshalb gilt auch das Bilderverbot für ihn.
Man muss es nicht, man kann es respektieren. Ich finde es richtig, dass man es respektiert und dass man registriert, dass es Menschen gibt, denen Religiöses heilig ist, auch wenn unter uns viele das Praktizieren von Religion kritisch sehen.
Der gedankliche Hintergrund ist für mich absolut nachvollziehbar, was deshalb geschehen ist, absolut nicht. Religion allerdings war für manche Menschen schon immer Mittel zu größten Grässlichkeiten.
Wenden wir uns Rilke zu und der tiefen Wahrheit, die er anspricht:
Wenn es Nacht wird, wenn die Dominanz unserer Tagesbewusstseins schwindet, dann gelingt es uns, Gott aus unserem rationalen Tagesbewusstsein und dem damit verbundenen Bild zu entlassen.
Wir lassen ihn los. Das ist der Segen, den die Nacht mit sich bringt.
Das wissen alle, die tiefe Schmerzen erfahren haben: Wie gut ist es, wenn wir schlafen können, wenn die Seele die Möglichkeit hat zu heilen. Unser Tagesbewusstsein kann das selten so gut wie unser Unbewusstes.
Es will auch unsere Seele befreien von dem Bild, dass wir uns von Gott machen. Und sei es, dass unser Gott Nichts heißt. Auch das ist ein Bild.
Wenn dies geschieht, wenn es dunkelt und wir loslassen können, dann können Gottes wahre Konturen dämmern.
Wunderbar, wie Rilke das ausdrückt:
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Und deine kommenden Konturen dämmern.
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Es fällt unserem Verstand nicht so leicht, sich darauf einzulassen, was inhaltlich in dieser einen Zeile steht, einer Zeile, die auch sprachlich durch ihre zwei Alliterationen die eine ist in eine andere eingebettet zum Ausdruck bringt, was am Ende der Dämmerung, wenn uns das wahre Licht aufgeht, steht, in einem Satz, der so unglaublich auffällt und herausfällt durch seine formale Gestaltung, durch die Alliteration, die Tonversetzung und im Gegensatz zum bisherigen fünfhebigen Jambus seine Zweihebigkeit, mit der doch alles gesagt ist:
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Gott, du bist groß.
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