Immer nach Osten Christian, Jule und Marcel radeln in

Indien!

05.01.2015

Endlich wieder radeln!
Morgens verlassen wir nach drei Wochen endlich mal wieder die großen grauen Städte. Fast haben wir vergessen, wie man seine Satteltaschen am Rad befestigt und die Gänge wechselt- aber nur fast! Wir holpern über die schlaglochlastigen Pisten aus Guwahati raus und zuckeln zur nächsten Brücke, die über den Brahmaputra-Fluss führt. Der ist unglaublich breit und sehr hübsch. Wir fahren parallel zu einem neuen Brückenteil, der gerade gebaut wird, und bestaunen die gewaltigen Stahlbetonkonstruktionen, die da ins Wasser gesetzt werden. Unter unserer Fahrspur rattern Züge im zweiten Level der Brücke. Überall ist tierisch viel Verkehr, aber im Endeffekt ist es soo viel entspannter, als wir uns Indien nach den Berichten anderer Menschen vorgestellt hatten. Wir dachten, dass das Radeln auf Indiens Straßen die Hölle wird, dabei ist es tatsächlich total mit dem Iran vergleichbar und nicht sonderlich gefährlich (wenn man nicht auf deutsche StVO besteht).

Unser Highlight des Morgens ist aber mal wieder so richtig Indien: wir fahren an einem Mann vorbei, der offiziell aussieht und einem anfahrenden Bus mit einem langen Knüppel oder Stiel ordentlich zwei übers Hinterteil zieht. So, wie man einer seeehr bräsigen Kuh klar machen würde, dass sie weiter gehen soll- nur, eben, dass es sich um einen jetzt noch weiter verdellten Bus handelt =)
Auf der nördlichen Flussseite angekommen, trennen uns nur ca. 50 km Luftlinie vom Himalaya-Staat Bhutan, der mich persönlich immer sehr fasziniert, weil Bhutan als erster Staat der Welt offiziell nicht nur Wirtschaftsfaktoren, sondern auch das Glück der Menschen in seine politischen Ziele aufgenommen hat (ich hab da eine sehr hübsche Doku gesehen, What happiness is). Leider sehen wir von Bhutan nichts, weil die Luftfeuchtigkeit so hoch ist, dass man nie bis zu den Bergen schauen kann. Das ist sehr, sehr schade, denn wie oft kommt man schon so nah am Himalaya vorbei?!
Wir fahren dann auf kleinen Straßen parallel zum Fluss und erleben endlich ein Indien, dass nicht in der Stadt spielt. Die Besiedlungsdichte ist dennoch sehr hoch und es gibt kaum mal ein paar hundert Meter, auf denen keine Bambushütte oder ein kleines Betonhaus steht. Sehr oft die die Häuser der Menschen hier aus Holz, meist Bambus, gebaut und dann mit Lehm verputzt, dazu stehen sie an einem kleinen braunen Teich und außen rum stehen ein paar Kokos- und Bethelnuss-Palmen, Bananen und ein kleiner Bambuszaun. Bambus ist eh das weit überwiegende Baumaterial, auch die Baugerüste in den Städten sind zB meist einfach miteinander verknotete Bambusstämme. Das sieht abenteuerlich aus und ist total beeindruckend!
Unsere Straße führt uns also unter vielen Kokosnüssen und Bananen vorbei, alle Menschen am Wegesrand schauen uns entgeistert und begeistert an und ständig stehen Kühe und Ziegen auf der Straße. In den Wiesen neben der Straße grasen Wasserbüffel, man sieht viele Störche und auch mal einen Marabu und überall werden irgendwelche Lebensmittel angebaut. Tatsächlich fahren wir auch durch ein Dorf, in dem eine Familie gerade eine Horde Affen aus ihrer Hütte jagt! Da stehen wir also mit unseren Rädern direkt neben einer Affenfamilie!

Christian schaut sich Affen an
Christian schaut sich Affen an

Bei unserer Mittagspause setzt sich ein lustiger Mann zu uns, der kein Englisch spricht und in regelmäßigen Abständen feststellt, dass wir kein Hindi sprechen. Er macht Segnungsgesten, berührt unsere Füße und dann seinen Scheitel und scheint sich offensichtlich sehr zu freuen, dass wir mit ihm unser Brot teilen. Er ruft auch noch einen Freund ran und schenkt dem meine letzte Banane und dann verabschieden wir uns =)
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Wir fahren an einem Mann vorbei, der gerade mit einer langen Bambusstange Kokosnüsse von einer Palme schlägt und kommen abends in einem kleinen Ort an, in dem wir uns ein Hotel nehmen. Wir wissen noch nicht, wie die Menschen hier drauf sind und ob wir weiter abends an den Türen klingeln können und fragen, ob wir das Zelt auf den Hof stellen können. Noch sind wir hier ein wenig wie Außerirdische. Und wild zelten kommt nicht in betracht, dafür sind hier viel zu viele Menschen und außerdem wohl auch haufenweise wilde Tiere, vor denen wir ordentlich Respekt haben. Das Hotel aber ist ganz nett, es hat einen schönen Garten und der Sohn des Besitzers ist sehr offen und freut sich über ein wenig Unterhaltung mit uns.

06.01.
Weiter geht die Fahrt durch diese Landschaft und immer, wenn wir anhalten, um ein paar Bananen zu kaufen oder einen Schluck Wasser zu trinken, bleiben Menschen um uns stehen und starren uns einfach nur an. Teilweise stehen nach 5 Minuten 15, 20 oder 30 Leute in einem Kreis um uns herum, machen wild Fotos mit ihren Handys und betrachten uns stumm von allen Seiten. Mir ist das tierisch unangenehm.
Unsere Mittagspause wollen wir irgendwo machen, wo nicht so viele Leute um uns rum stehen, deswegen biegen wir ein paar Meter in die Felder einer Teeplantage ein (wo es auch einfach sehr hübsch ist). Nach wenigen Minuten aber stehen wieder unglaublich viele Menschen um uns herum, betrachten uns und die Räder und sind einfach nur verblüfft. Das ist surreal!
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Am Abend erreichen wir Tezpur, eine mittelgroße Stadt, und nehmen wieder ein Hotelzimmer. Ich komme mir ziemlich weit weg von den Menschen vor und fühle mich in den Hotels sehr eingesperrt und vermisse die Zeit im Iran, wo wir keinerlei Hemmung hatten, immer mal die Menschen zu fragen, ob wir bei ihnen übernachten könnten. Im Iran hatten wir viel mehr Kontakt zu der Bevölkerung, wurden ständig zum Tee eingeladen und haben viel über die Kultur lernen können. Hier beschränkt es sich bisher meist auf angestarrt werden und sich abends im Hotel abkapseln, das macht mich traurig.

07.01.
Von Tezpur aus starten wir morgens in dichtem Nebel. Wir überqueren wieder den Brahmaputra, wobei wir wirklich nur eine graue Nebelwand sehen. Die Brücke scheint ins Nirgendwo zu führen.
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Dann radeln wir auf der Südseite des Flusses weiter, gegen Mittag kommt die Sonne raus und wir erreichen die Ausläufer des berühmten Kaziranga-Nationalparks, der laut meines Reiseführers 2/3 der weltweiten Population an indischen Panzernashörnern beheimatet. Während wir hier durch die beeindruckend schöne Landschaft tingeln, fahren wir zu unserer großen Begeisterung schon an einigen Hinweisschildern vorbei, die vor kreuzenden Elefanten warnen und darauf aufmerksam machen, dass Tiger, Nashörner und Elefanten Vorfahrt haben, falls sie vorbei kommen sollten =) Und tatsächlich: nach einer Kurve sehen wir vor uns zwei domestizierte Elefanten auf der Straße langeiern, mit ganz viel Grünschnitt und ein paar Männern auf dem Rücken
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Wir überholen die beiden Dickhäuter und halten davor einmal am Straßenrand an, um sie uns nochmal aus der Nähe anzusehen, und als die beiden dicht an uns vorbei kommen, betasten sie uns und das Rad auch einmal kurz mit dem Rüssel. Waaa!
Noch etwas weiter sehen wir dann auf der linken Seite der Straße, vielleicht 500 m von uns, ein Nashorn grasen. Wir lassen uns in der Nähe von vielen anderen indischen Touristen am Straßenrand nieder und machen unsere Mittagspause mit Rhino-Blick. Verrückt, sag ich euch!
Als wir später weiter fahren, bleibt irgendwann ein Jeep neben uns stehen und zwei deutsche Touristen hüpfen raus und stellen sich vor. Die beiden sind auch Vielreisende und große Fotografen und sind die ersten europäischen Touristen, die wir seit Kolkata sehen. Gegen Nachmittag kommen wir im zentralen Touristenkomplex in der Nähe des Parkeingangs an und dürfen unser Zelt im Garten eines Hotels aufstellen. Der Manager ist sehr begeistert von uns und dem Zelt. Und überall um unser Zelt hüpfen Affen herum!

Im Hintergrund auf der Mauer die Äffchen...
Im Hintergrund auf der Mauer die Äffchen

08.01.
Wir stehen schon um 6:00 auf, weil wir die morgendliche Safari durch den Nationalpark mitmachen wollen. Dafür werden wir drei von einem Jeep abgeholt und dann holpern wir auch schon querfeldein durch dichten Dschungel und sehen allerlei tolle Vögel (inkl. Eisvogel und Pelikan und Marabu!), Rhinos, Affen, Wild und, ganz toll, wilde Elefanten nur wenige Meter von uns entfernt. Der Fahrer macht extra den Motor nicht aus, um im Notfall durchstarten zu können, und tatsächlich gehen wir dem einen Elefanten irgendwann auf die Nerven, das lässt er uns spüren und wir holpern lieber weiter. Vor allem Christian ist total begeistert von diesem Ausflug.

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Als wir später am Vormittag wieder zum Zelt/Hotel kommen, frühstücken wir erst einmal im Hotelgarten und werden dabei sehr neugierig von Äffchen beobachtet. Wir beobachten zurück. Dann gehts wieder aufs Rad und bei herrlichem Sonnenschein und Sommertemperaturen weiter. Die Inder jammern alle über den kalten Winter und können sich wirklich nicht vorstellen, dass diese Temperaturen unserem deutschen Sommer entsprechen. Jetzt biegen wir irgendwann nach Süden ab und die Landschaft verändert sich. Statt am Fluss und an Reis- und Getreidefeldern entlang führt der nun hügelige Weg nur noch durch wunderhübsche Teegärten.

Wir finden sogar einen Ort, an dem wir eine kurze Pause machen können, ohne dass sich eine Traube um uns bildet. Als wir dann weiter fahren, wollen wir im nächsten Ort in einem kleinen Shop unsere Vorräte aufstocken. Wir haben Glück und eine junge Frau im Laden spricht sehr gutes Englisch, was es sehr viel leichter macht, an die sonst eher raren Nudeln etc. zu kommen. Wir unterhalten uns ein wenig und fragen sie auch, ob sie wüsste, wo wir innerhalb der nächsten Kilometer ein Hotel finden könnten, und irgendwann lädt sie uns im Namen des Ladenbesitzers, ihres Vaters, ein, bei ihnen zu Hause im Innenhof zu zelten. Das entpuppt sich als unverhofft wunderbare Erfahrung, denn Rias Familie nimmt uns sehr herzlich auf, bekocht uns königlich mit traditionellen und sehr leckeren Spezialitäten, kann uns viel über die indische Kultur näher bringen und lädt uns auch am Ende des Abends noch ein, doch bitte im Gästezimmer zu schlafen. Wir machen auch noch ein Feuer im Hof und werden einmal durchs Dorf geführt, wobei wir auf der einen Seite einiges sehen können, unsere Gastgeberin Ria aber auch einfach stolz präsentieren kann, dass sie ein paar Fremde aufgegabelt hat =) Sehr viele Selfies müssen wir machen, damit sie in Zukunft eine Batterie an Profilbildern für Facebook und co. hat.
Am späteren Abend darf ich dann wiederum mit ihr im Elternschlafzimmer schlafen, weil es nicht gern gesehen ist, wenn Frauen und Männer zusammen in einem Raum bleiben. Das ist aber auch sehr spannend, weil ich mit der sehr aufgeweckten 16jährigen über ihre Frauenrolle im heutigen Indien sprechen kann. Sehr, sehr spannend!

Thank you sooo much, Ria and Family!!

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09.01.
Morgens wird uns von Rias Mutter noch richtig tolles Frühstück gemacht, und als wir dann schon völlig überdankbar losfahren wollen, werden wir alle nacheinander nochmal auf einen Stuhl auf der Veranda gesetzt und Rias Mama segnet uns, mit einem roten Punkt und Reis auf der Stirn. Und schenkt jedem von uns dann noch einen kleinen Plastik-Ganesha, der im Dunkeln leuchtet =) Und dann machen wir noch ein paarhundert Fotos, versichern uns, dass diese tolle Familie unsere Adressen richtig aufgeschrieben hat, kriegen noch eiiiniges aus dem Laden geschenkt und setzen unseren Weg mit glückgefüllten Herzen fort. Ich kann endlich eine bessere Beziehung zu Indien aufbauen.

gesegnet werden von Rias Mama
gesegnet werden von Rias Mama

Diese verrückt fürsorgliche Familie hat auch noch arrangiert, dass wir sowohl für das Mittagessen heute (nach 40 km) als auch für die Nacht (nach 85 km) eine Verabredung haben. Also bekommen wir bei Freunden der Familie suuuper Mittagessen serviert und lernen noch mehr Menschen kennen. Auch Ria, ihr kleiner Bruder und ihr Onkel kommen mit dem Auto hinterher, um uns noch einmal zu sehen. Ah ja, auch eine SIM bekommen wir von diesen tollen Menschen, um in Indien erreichbar zu bleiben. Der Wahn!

Der Nachmittag bleibt in Erinnerung, weil wir zuerst an einer echten Schweinehälfte vorbeifahren, die auf dem Tisch einer der Straßenschlachtereien liegt. Der Vorderhälfte eines Schweins, das man auf Höhe des Bauchnabels durchgesägt und ausgenommen hat, sodass man jetzt an den Rippen vorbei durch den ganzen Hohlkörper bis zum Hals schauen kann. Omnom! Und kurz danach fährt eine Autoriksha, so ein dreirädriges kleines Taxi, an uns vorbei, aus dessen linker Seite der Vorderteil von einem leider noch lebenden Schwein raushängt. Das ist niiicht schön anzusehen.
Um so schöner hingegen ist es, dass ein anderer Onkel von Ria für uns organisiert hat, dass wir in der Stadt, in der wir abends ankommen, in einem sehr sauberen, guten Hotel untergebracht werden. Mit dem Teil der Familie haben wir leider kaum Kontakt, aber dennoch freuen wir uns enorm über die zwei (wg. Geschlechtertrennung) Zimmer, die sie für uns organisiert (und bezahlt!) haben. Wir duschen uns ausgiebig (leider kalt, warme Duschen sind hier wohl wirklich selten) und hängen dann den Abend sehr entspannt rum. Tut auch mal gut, einfach ein paar Indieneindrücke verdauen zu können!

10.01.
Heute verlassen wir den Bundesstaat Assam und fahren rüber nach Nagaland. So episch, wie das klingt, ist es auch: kurz nach der Grenze müssen wir anfangen, uns in Serpentinen durch dicht mit Dschungel und Ananasplantagen bewachsene Berge bergauf zu schlängeln. Das Panorama wird immer besser, die Berge sind dunkelgrün, lianen- und palmenbewachsen und verschwinden am Horizont im Dunst.
An der Straße stehen Stände, die Ananas, Bananen, verschiedenstes Obst und Gemüse, aber auch tote bunte Vögel und irgendwelche Nager verkaufen. Am Abend erreichen wir einen kleinen Ort, in dem wir bleiben wollen, weil die Sonne sich im Untergehen befindet und wir in der Dunkelheit wirklich nicht fahren wollen. Also fragen wir zuerst, ob es ein Hotel gibt, aber da ist in diesem Nest keine Chance. Dann wollen wir in der Kirche übernachten, werden aber weiter bugsiert zu einem wirklich schönen kleinen Bungalow auf einem Hügel über dem Ort, in dem wohl vor über 100 Jahren die britischen Kolonialherren gewohnt haben. Man fegt noch einmal aus und dann dürfen wir da schlafen =) Ganz viele Menschen kommen vorbei, um uns kennen zu lernen und man entschuldigt sich ganz oft, dass man uns besser bewirtet hätte, wenn man denn nur gewusst hätte, dass wir kommen. Die ganze Zeit wuseln eine Hand voll kleiner Jungs um uns rum, für die wieder der Inbegriff von spannend sind und mit denen wir auch einen Haufen Spaß haben.

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